F.A.Z.

Der Blick auf benachbarte Kunstsparten ist für viele zeitgenössische Künstler selbstverständlich. Freimütig verwenden Choreographen literarische Texte in ihren Stücken, entwickeln bildende Künstler Installationen, in denen der Ton und das Hören eine wichtige Rolle spielen, arbeiten Theaterregisseure mit Videoeinspielungen, die ihren Inszenierungen einen zweiten imaginären Raum eröffnen. Jenseits vordergründiger Schaueffekte, die es oft genug zu beklagen gibt, bietet der Umweg über das benachbarte Feld auch die Chance, das Eigene mit einem fremden Blick zu betrachten. Prue Lang gehört seit 1999 zum Ensemble des Balletts Frankfurt, wo sie dem Publikum aus Stücken wie “Endless House” oder “Woolf Phrase” bekannt ist.

In Melbourne am Australien College of the Arts, wo sie studiert hat, hatte sie viele Stücke für die Bühne entwickeln müssen. Doch das allein habe sie nie zufriedengestellt. So hat sie neben ihrer Ausbildung zur Tänzerin immer wieder Ausflüge in die Welt des Films gemacht, um von dort aus auf den Tanz zu schauen. “Ich war schon immer fasziniert von der Beziehung zwischen Tänzern und Publikum. Wie kann ich diese Beziehung inszenieren, Blicke lenken und bewußtmachen? In einer traditionellen Aufführungssituation, in der man das Stück nur von vorne sieht, geht das normalerweise unter. Man spürt im Zuschauersaal den Luftzug Bewegung nicht.”

Fasziniert von Jorge Luis Borges’ Erzählungen, in denen sich verschiedene Geschichten ineinanderschachteln, hat sie sich überlegt, wie sie die labyrinthartige Struktur seiner Geschichten ins Theater übersetzen könnte. Das Resultat ist ihre Tanz,installation “infinite Temporal Series”, die das Ballett Frankfurt im März im Bockenheimer Depot präsentiert. Wer sich durchs Labyrinth bewegt, muß viele Umwege in Kauf nehmen, um ans Ziel zu kommen. Als Bewegung innerhalb einer festen Form gilt das Labyrinth, von dem schon Homer in der “llias” berichtet, es sei der erste Tanzplatz im Palast von Knossos gewesen, als Sinnbild für den Tanz schlechthin.

Vor diesem Hintergrund hat Prue Lang fünf Räume in einer Reihe entworfen. In jedem Raum gibt es eine Bank für die Zuschauer, deren Anzahl pro Durchgang auf 30 begrenzt ist. Kleine, sich perspektivisch verjüngende Fenster eröffnen dem Publikum einen Durchblick auf den nächsten Raum, der so wie eine Spiegelung des eigenen Raums wirkt. Neun Tänzer, die während der Vorstellung die Räume wechseln können, bewegen sich durch die Installation, an deren Ende ein Diaprojektor Bilder der Tänzer an die Wand wirft. Daß auch das Publikum umhergehen kann, um sich seinen Blickwinkel frei zu wählen, ist Prue Lang wichtig. “Jeder Zuschauer soll sich sein eigenes Zeitfenster bauen, durch das er auf die Performance blickt”, erzählt sie. Jeder der Tänzer habe seine eigene Zeitstruktur, die aus einer anfänglichen Improvisation heraus entwickelt wurde. An bestimmten Punkten gehe dann jeder einen anderen Weg durch das Labyrinth.

Ausgangspunkt für die Bewegungsfindung seien Träume der Tänzer gewesen, die sie aufgeriffen hätten. “Im Traum herrscht eine andere Zeit. Dinge erscheinen in einer anderen Chronologie, überlagern oder verschieben sich. Dem wollten wir in den Bewegungen ein Stück weit nachgehen.” Auch die unmittelbare Nähe zu den Tänzern kann die Zeitwahrnehmung der Zuschauer verändern. Erlebt man so manche Sequenzen intensiver als andere. Doch das Näher-dran-Sein im Labyrinth der sich gegenseitig beobachtenden Blicke birgt sowohl für das Publikum wie für die Tänzer Gefahren. Jeder muß seinen Schutzraum und seine Anonymität ein Stück weit verlassen, damit es zu einer Begegnung kommen kann. Daß das nicht jedem liegt, dessen ist sich Prue Lang bewußt. “Deshalb haben wir uns entschieden, daß es keinen direkten Kontakt zwischen den Tänzern und dem Publikum geben soll.”

Nach ihrer Ausbildung in Melbourne tanzte sie zunächst bei Meryl Tankards Australien Dance Theatre, bevor sie Mitte der neunziger Jahre nach Frankreich kam, um dort in renommierten Kompanien wie der Compagnie Cré-Ange und L’Esquisse zu tanzen. Doch bald schon hatte sie genug von den klischierten Rollenbildern, die im französischen Tanz nach wie vor hoch im Kurs stehen. Wie viele Geschichten, in denen sich Frauen an den Hals von Männern werfen, könne man als Frau im 21. Jahrhundert noch ertragen? Die Arbeit mit William Forsythe sei für sie nicht nur eine tänzerische, sondern auch eine intellektuelle Herausforderung. Forsythe habe ihr für ihre eigenen Arbeiten die Freiheiten gegeben, die sie brauchte. “Mach das, was du selbst gerne sehen möchtest”, sei sein Rat gewesen. Für die Abende mit Arbeiten von Ensemblemitgliedern hat sie in den vergangenen Jahren im Bockenheimer Depot schon zwei Installationen realisiert, die letzte zu Texten von Simone de Beauvoir.

Ende des Monats zeigt sie dort eine weitere ihrer Arbeiten. Die Videoinstallation “Screenplay” ist eine Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller David le Barzic und der Medienkünstlerin Cindy Lee, in der es um die Übergänge zwischen den einzelnen Phasen des künstlerischen Schaffensprozesses gehen soll. Die Videoinstallation steht im Rahmen eines dreiteiligen Tanzabends, an dem Choreographien von Jone San Martin und Fabrice Mazliah (“Remote Versions”), Nathalie Thomas (“iii”) und Ayman Harper (Bye-bye Mingusblue”) zu sehen sein werden. In den Pausen und nach der Vorstellung wird zugleich eine Filminstaliation von Arnoud Noordegraaf gezeigt. Vorstellungen von “lnfinite Temporal Series” finden am 8. und 9. März um 19.30 und 20.00 sowie um 21.00 und 21.30 Uhr statt: Der choreographische Abend ist am 27. und 28. März um 20.00 und um 21.00 Uhr im Bockenheime Depot zu sehen. (Gerald Siegmund)